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Auf der Suche nach dem Wort
Vor 100 Jahren, 1903, begegneten sich hoch oben im Norden zwei Polarexpeditionen. Die eine wurde von Roald Amundsen geleitet, der die noch niemals durchfahrene Nordwestpassage suchen wollte; die andere wurde von dem Schriftsteller Mylius Erichsen geleitet, und der junge Knud Rasmussen führte sie auf der Suche nach der noch unentdeckten Welt der uralten Geschichten der Inuit.
Als die Nord-Passagen durchfahren, die Pole betreten und das weite Land der Arktis kartografiert waren, blieb nur noch eine verborgene und unbekannte Welt: der unentdeckte Kontinent der Sagen und Mythen. Knud Rasmussen verbrachte seine folgenden dreißig Lebensjahre im Eis, um die Worte der Inuit zu finden und zu bewahren.
„Reise zu den Worten“ ist der Titel eines „Literarischen Ortes“, der der Ausstellung ihren Namen gibt. Auf der Suche nach dem Wort ist auch der Sprachphilosoph Johann Gottfried Herder, der 1803, vor zweihundert Jahren, starb. Der Mensch ist „das Geschöpf der Sprache“ und es ist der „Vorzug der Freiheit“ – so auch der Titel einer Arbeit – der ihn zur Sprache führt. Marlies Obier führt die Suche nach dem Wort in ihrer künstlerischen Arbeit fort.
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Orte, genauer „Literarische Orte“, schafft und interpretiert Marlies Obier seit mehreren Jahren. „Ich möchte, dass Sprache aus den Buchdeckeln herauskommt“, sagt sie zum Konzept ihres künstlerischen Schaffens, „die Worte sollen in den Raum gehen. Verlässt die Sprache ihren Platz zwischen den Buchdeckeln, braucht sie einen anderen Ort, um erfahrbar zu werden.“ Nach intensiver Lektüre nimmt Marlies Obier sorgfältig ausgewählte Zitate – selten vollständige Sätze, gelegentlich nur die Namen von Autoren und Zeugen vergangener Zeiten und Begebenheiten – aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang heraus und stellt sie in einen neuen Raum. Auf diese Weise will sie Literatur neu und erfahrbar „begehbar“ machen, Betrachter und Leser an einen literarischen Ort heranführen. Zugleich sind ihre literarischen Orte deutliche Aufforderungen an Phantasie und Vorstellungskraft, sich in die neu geschaffene Umgebung hinein zu begeben, die Geschichten, die darin nur angedeutet werden, selbst weiter zu erzählen und zu beleben. Damit wird unterstrichen: Worte sind immer auch Orte, in denen Menschen und ihr Leben zu finden sind. Mit der diesjährigen Ausstellung bringt Marlies Obier ihre literarischen Orte bereits zum zweiten Mal in die Räume der Universitätsbibliothek Siegen, der sie sich durch ihr Studium und ihre erste berufliche Tätigkeit als Lehrbeauftragte an der hiesigen Universität besonders verbunden fühlt. Während sie vor zwei Jahren mit dem literarischen Ort „Und die Wiesen waren gelb vor Blüten“ die Geschichte einer einfachen jungen Frau wiederbelebte, schickt sie in der aktuellen Ausstellung Besucher und Betrachter unter anderem auf große Abenteuerreise mit Knud Rasmussen. Und auch dieses Mal ist ihre Ausstellung mit der Aufforderung verbunden, die in den Raum gestellten Textausschnitte weiter zu deuten und ihrem Ursprung nachzugehen. Und welcher ORT könnte hierfür besser geeignet sein als eine Bibliothek?
Doris Schirra, Werner Reinhardt
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Dirk Bogdanski     Marlies Obier
Was bedeutet für Sie Sprache?
Verstehen Sie sich als Konzeptkünstlerin,Sprachkünst-lerin oder Schriftstellerin?
In welchem Verhältnis steht Ihre wissenschaftliche Arbeit über die „Sprache in der Kunst“ zu Ihrer Kunst?
Ihre Kunst ist hochgradig sprach-reflexiv. Welche Intentionen ver-binden Sie damit? In welchem Verhältnis stehen Ihre
Arbeiten zum Rezipienten?
In welcher Tradition sehen Sie Ihre Arbeiten? Gibt es konkrete Vorbilder? Und in welchem Verhältnis stehen Ihre
Arbeiten zur Tradition der Collage?
Welches Verhältnis haben Sie zum vorgefundenen Fragmentarischen, zum „objet trouvé“?
Wie stellen sich Ihre Arbeiten dem Kontext, der Situation, in der sie wahrgenommen werden (sollen)?
Dirk Bogdanski
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