Literaturbilder

Malerische und graphische Interpretationen von Alexander Steffes, Bergisch Gladbach

Ausstellung in der UB Siegen, 7. Mai - 12. Juni 1999

 
Einführungstext von Dr. Helgard Sauer
Fachreferentin für Kunst an der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden

8 Farbreproduktionen



            

   

   

   

   Vaclav Havel: "Briefe an Olga / 14. März 1981", 1997

   70 x 50 cm, Öl, Tusche auf Nessel



Seit Mitte der achtziger Jahre läßt sich Alexander Steffes von literarischen Werken zu skripturalen, bildlichen Umsetzungen inspirieren. Romane, Erzählungen, Lyrik und auch Briefsammlungen verschiedenster Herkunft sind Ausgangspunkte für seine Malerei, die Collagen und Schriftfragmente einschließt. Neben bedeutenden Werken der Weltliteratur, z. B. von Theodor Fontane, Anton Tschechow und Oskar Wilde, äußert sich Steffes auch zu Werken relativ unbekannter junger Schriftsteller, etwa zu Christa Giesslers Roman "Sonny im Dunkeln", der Probleme der politischen Wende in Deutschland beschreibt.

Mit traditioneller Textillustration haben diese verdichteten Bildkompositionen jedoch wenig zu tun. Seine persönlichen Empfindungen und Emotionen zur Literatur setzt Steffes in experimentelle Bildräume um, in denen eigene Erfahrungen und individuelle Vorstellungen mit dem Inhalt des Lesestoffes zusammenfließen.

Vaclav Havels Briefe an Olga inspirieren Steffes zu einer Komposition aus hellen freundlichen Farben, die mehr an die Liebe des Schreibers zur Adressatin denken läßt als an das düstere Gefängnis, in dem sie geschrieben wurden. Die bedrückende Gefängnis-Atmosphäre von Stefan Zweigs Schachnovelle wird in der bildlichen Umsetzung durch einzelne farbige Brettfelder optisch gemildert. Henry Miller hat den Künstler zu ganz unterschiedlichen Kompositionen angeregt: Steht in den Briefen aus Paris die Erotik im Mittelpunkt, so in anderen Miller-Bildern die Reizüberflutung in New York. Zu Werken, die ihn besonders ansprechen, entstehen mitunter mehrere Fassungen, die zeitlich weit auseinander liegen können und sich in ihrem Erscheinungsbild stark unterscheiden.

Mit dieser subjektiven Art der Literaturrezeption folgt Steffes – wohl mehr unbewußt – einer Kunsttendenz, die seit den achtziger Jahren international an Bedeutung gewinnt. Appropriation art bezeichnet eine Kunstrichtung, bei der sich ein Künstler das Werk eines anderen intuitiv aneignet und in Verbindung mit eigenen Vorstellungen und Erfahrungen ein neues Kunstwerk schafft, in dem das Ausgangswerk zum Zitat wird.

Malerei kann durch Malerei rezipiert werden (z. B. DeChirico von Mike Bidlo, Rembrandt von Nikolai Makarov) und Literatur durch Literatur (z. B. Fontane von Günter Grass). Aber auch scheinbar unvereinbare Kunstgattungen können aufeinander Bezug nehmen, etwa bei visueller Musik und bei Video-Plastik, oder wie bei Alexander Steffes in Literaturbildern. Die unterschiedlichen Gesetzmäßigkeiten der verschiedenen Kunstgattungen ermöglichen dabei neue Sichtweisen unter Berücksichtigung neuer Aspekte. Kunstwerke, die sich auf andere beziehen, sind weder Kopien noch Plagiate, sondern selbständige Schöpfungen, in denen sich Merkmale des Ausgangswerkes mit den Intentionen des rezipierenden Künstlers vermischen und die in einer neuen Kommunikationsform wahrgenommen werden können.

So sind die literarischen Werke, die Steffes aufgreift, nicht als lesbare Texte gestaltet, sondern als visuell wirkende skripturale Bildfragmente, als graphische Zeichen, in denen die lineare Ordnung des Textes aufgelöst wurde, so daß sie sich mit anderen malerischen und graphischen Bildelementen, Form- und Farbspielen zu Bildkompositionen fügen, die in einem interessanten Spannungsverhältnis zum Ausgangstext stehen und dem Betrachter eine subjektive Interpretation des literarischen Werkes vermitteln. Die Arbeiten werden so zu Bindegliedern zwischen Kunst und Literatur.

Seit 1980 wird, vorwiegend durch amerikanische Kunstkritiker, eine Verbindung zwischen Appropriation art und Postmodernismus gesehen. Postmodernismus, ein nicht eindeutig zu handhabender Begriff, der vielfältige und widersprüchliche soziokulturelle Strömungen einschließt, lehnt reglementierende Normen verfügbarer Kunstgattungen ab. Gattungsübergreifende Kunstrezeptionen, freies Zitieren und Fragmentieren sind ebenso charakteristisch für die Postmoderne wie das Spiel mit Sinnebenen und Bedeutungen und das Überschreiten von Gattungsgrenzen.

Bildorientierte Kunstäußerungen wie Malerei, Graphik und Plastik, aber auch zeitorientierte Kunstformen wie Musik, Theater, Tanz und Video verbinden sich zu Kunstwerken, die sich neuen Kommunikationsformen öffnen. Die Umsetzung von Literatur in Bildkunst entspricht jedoch nicht nur dem internationalen Trend zu gattungsübergreifender Kunstkommunikation und -rezeption, sondern auch dem zunehmenden Bedürfnis nach Visualisierung. Buchstaben, Worte und Sätze aus literarischen Texten überträgt Alexander Steffes in seine Bildwerke, aber nicht zur Formulierung festgehaltener Gedanken, sondern als Wortbilder mit sinnlich optischer Funktion, die bildhaft, intuitiv erfaßt werden können.

 

© UB Siegen / Öffentlichkeitsarbeit (1999-05-12 H. Dettweiler)