Gedanken zur Ausstellung "Meine Naturgeschichte"

von  Erwin Rickert

 

Als ich im Frühjahr 1958 gefordert war, an einer Aufnahmeprüfung zum Studium der Kunst aktiv teilzunehmen, wählte ich als Sachobjekt das Stopfpräparat "Spießente". Es war ein schön ausgestopfter Spießerpel; er wirkte naturnah fliegend von seinem verzinkten Draht, den ich geflissentlich bei meiner Rohrfederzeichnung weg ließ, um so die Illusion des gleitenden Vogels zu Papier zu bringen.

Wie ich die Kaskaden des Fluggefieders im Kontrast zum schuppengleichen Horn des Schnabels und der feinstrukturierten Füße realisierte, hatte ich einer Abbildung als Anleihe entnommen, und zwar einer Abbildung, die ich in einem kurz zuvor erworbenen Bildband mit Darstellungen des japanischen Künstlers Katsushika Hokusai (1760-1849) gefunden hatte.

Diese Naturschilderung hat mich mein Leben nicht verlassen. Während und nach dem Studium der Graphik und Zeichnung näherte ich mich dann stärker der deutschen und italienischen Renaissance-Zeichnung, wovon ich in meiner Naturschilderung die stärksten Impulse erhalten habe. Die Natur durch die Brille der Kunst zu betrachten, hat mich bis in die heutige Zeit nicht verlassen und ich sehe es als das wesentliche Regulativ, Kunst und Wirklichkeit als relativ deckungsgleich zu betrachten.

Die Künstler der Vergangenheit, als wesentliche Vorleistung im Proze~ der Naturbetrachtung und -schilderung sind für mich prägend gewesen. Die Modernismen der Gegenwart im Verwirrspiel der Künstler und ihrer Kunst gleichen mir immer mehr wie "des Kaisers neue Kleider". Kunst und Können sollten deckungsgleich einer weiteren Kunstentwicklung Raum geben.
Pablo Picassos Radierungen zur "Histoire Naturelle" des Naturforschers Buffon und die ebenso bezeichnete Naturgeschichte des Surrealisten Max Ernst markieren meinen Kunstraum zwischen Realistik und märchenhafter Darstellung.

                    
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